Geschichte

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Die Kunst des Drachenbaus ist wahrscheinlich eine chinesische Erfindung. Eine der ersten gesicherten Beschreibungen stammt aus dem 2. vorchristlichen Jahrhundert und berichtet von einem chinesischen General, der während eines Feldzugs die ersten Drachen habe steigen lassen, um mittels der Leine die Länge eines Tunnels zu messen, durch den er unbemerkt in feindliches Gebiet vorstoßen wollte. In einem anderen Feldzug wird die Entscheidung einer Schlacht dadurch herbeigeführt, daß über dem feindlichen Lager des nachts Drachen mit Schwirrhölzern geflogen werden, deren Brummen die feindlichen Truppen in Angst und Schrecken versetzt.

Von China gelangt der Drachen über Indien und Arabien nach Europa. Als erste Form eines Flugdrachens gilt der draco, eine Art Windhose, die als Banner in der Spätzeit des Römischen Reiches verbreitet war.In der Handschrift "Belli fortis" von Conrad Kyeser aus dem Jahre 1405 findet sich die llustration eines solchen Wimpeldrachens mit einer Beschreibung, die ihn als fliegenden, vom Boden gesteuerten Flugdrachen ausweist. Obwohl die Konstruktionsidee phantastisch anmutet, sind ostasiatische Ursprünge in der Gestaltung des Flugdrachens unverkennbar. Die erste genaue Beschreibung chinesischer Drachen übermittelt den Europäern Marco Polo, der von 1275 bis 1293 in den Diensten Kublai Khans in China lebte. In seiner "Beschreibung der Welt" schildert er anschaulich den Brauch, vor Beginn einer Seefahrt Drachen von Bord des Schiffes steigen zu lassen, um aus dem Flug Gunst oder Ungunst der geplanten Fahrt zu erfahren.

Nach Japan gelangte der Drachen — vermutlich über Korea — wohl im 7. Jahrhundert. Erste gesicherte Quellen gibt es aber erst aus dem 9. Jahrhundert. In einer Familienchronik aus der Heianzeit wird eine Papier-Weihe "kamitobi" erwähnt, womit vermutlich ein Drachen in Vogelform gemeint ist, wie er in China bekannt war. Andere Quellen bezeichnen derartige Papierdrachen als Ikanobori. Im 12. Jahrhundert ist die Kunst des Drachenflugs bereits so fortgeschritten, daß bemannte Großdrachen möglich werden. Eine altjapanische Sage berichtet von dem wegen seiner herkulischen Kräfte berühmten Krieger Minamoto no Tametomo, der 1156 auf der Insel Oshima in Verbannung lebte.

Er verhalf seinem Sohn mittels eines selbstgebauten riesigen Drachens zur Flucht über das Meer nach Shimoda. Der abenteuerliche Flug ist von Hoku-sai in einer Holzschnittillustration dargestellt worden. Häufig wird auch überliefert, daß Drachen zum Zweck der Aufklärung und in kriegerischen Unternehmungen bemannt eingesetzt wurden. Geradezu ein Meisterstück der Aviatik wird dem Räuberhauptmann Ishikawa Goemon zugeschrieben, der Ende des 17. Jahrhunderts mit einem Drachen auf das Dach des Schlosses von Nagoya gefolgen sein soll, um von den dort befindlichen goldenen Delphinen drei Flossen abzubrechen. Sein räuberisches Heldenstück endete freilich schlimm. Er wurde ergriffen und samt seiner Familie in Öl gekocht.

Die Blüte des Drachenbaus erlebt Japan in der Edozeit (im 18. und 19. Jahrhundert), als durch erhöhte Papierproduktion billiges Papier auch für die breite Bevölkerung erschwinglich wurde. Deutlich lassen sich in der Bemalung Einflüsse des populären Theaters und des Vielfarbholzschnitts Ukiyoe ablesen. Fast alle heute bekannten Formen gibt es seit Ende dieser Epoche, wie die Darstellung, "Tako noboriagaru hanagata " — " Kabuki-Schauspieler, die Drachen steigen lassen" des Ukiyoe-Meisters Utagawa Kunimasa zeigt. (Abgebildet ist hier das linke Blatt einer dreiteiligen Darstellung, die sich im Drachenmuseum Tokyo befindet.) Die Drachenfeste nahmen einen derartigen Umfang an, daß zahlreiche behördliche Verbote erlassen wurden, um Flurschäden zu vermeiden. Doch mit dem Beginn der Neuzeit nimmt das Drachenfieber ab. Ein Grund wird in der Anpassung des japanischen Zeitrhythmus an die westliche Welt vermutet: Nach japanischer Tradition war das Drachensteigen ein beliebtes Vergnügen anläßlich des Neujahrfestes. Als im Jahre 1874 durch den Wechsel vom alten auf den neuen Kalender das Neujahr nun nicht mehr in die Monsunmonate fiel, bewirkte dies einen großen Rückschlag in dieser Kunst, die ja "vom Winde lebt". Die Verstädterung und Zersiedelung der japanischen Landschaft trugen ein übriges zum Niedergang bei.

Von ehemals hunderten professionellen Drachenbauern in Tokyo lebt heute nur noch einer. Aber noch ist das Wissen um die Kunst des japanischen Drachenbaus lebendig. Noch gibt es Drachenbauer in allen Regionen des Landes, die die traditionellen Techniken der Bambusbearbeitung, der Bemalung, die Kunst der Schnüre und des Drachenfluges beherrschen. Und noch gibt es Drachenfeste, die nicht touristischer Neugier sondern dem gemeinsamen Erleben und der sozialen Bindung dienen. An diese Tradition möchte das Kunstdrachen-Projekt anknüpfen und gleichzeitig mit dem Blick auf die Gegenwartskunst den Blick auf die grandiose Kunsttradition des japanischen Drachens lenken.